Christoph Hein

Laudatio für Herrn Christoph Hein zum Ehrenbürger der Stadt Bad Düben von Herrn Jörg Uhle-Wettler, Bad Düben, d. 13. April 2011

Lieber Christoph Hein, liebe Festgemeinschaft,

uns führt ein besonderer Anlass zusammen. An diesem Tag und an diesem Ort.

Viele in diesem Land haben erkannt, dass Sie , Christoph Hein, eine außerordentliche Begabung haben. Die Begabung: Zustände zu beschreiben. Schonungslos. Sie verfügen über eine klare, verdichtete Sprache. Sie sind ein genauster Beobachter mit scharfsinnigen Verstand, der Zusammenhänge erkennt  und benennt. Sie wurden mit  Preisen und Ehrungen versehen: darunter viele Literaturpreise und das Bundesverdienstkreuz. Anerkennung, Lob und ehrfurchtsvoller Umgang begleiten Sie durch die Jahrzehnte.

Sie sind unter den Gegenwartsautoren in diesem Land ein literarischer Leuchtturm. Das Licht scheint weit in die Regionen der Republik. Bekanntlich ist es genau am Fuße des Leuchtturms am Dunkelsten. Das Licht sieht man erst, wenn man ein bisschen weiter weg ist. Christoph Hein, Sie waren lange und weit weg.

Und heute sind Sie hier. Es ist eine Reise in die Vergangenheit, um unserer aller Zukunft Willen. Es geht nicht um Geld, es geht um den Ruf. Die Ehrung für Sie ist auch mit einem guten Ruf für Bad Düben verbunden.

In der Bibel steht: Ein guter Ruf ist mehr Wert als alles Silber und Gold dieser Welt. Was nützt es einem Menschen wenn er viel Geld hat, die Menschen aber sagen - er sei ein geiziger Ochse?

In einer Kleinstadt ist man besonders um seinen guten Ruf bemüht. Und der Ruf braucht einen Rufer. Christoph Hein ist kein Rufer in der Wüste, sondern ein Rufer in die Wüsten, die wir bergen in uns.

Manche Sätze in Ihren Büchern tun weh. Sie tun weh, weil die Wahrheit oft Schmerz bedeutet. Weil Enttäuschungen heilsam sind.

Lieber Christoph Hein, Sie sind ein Enttäuscher im positiven Sinne. Wer nie enttäuscht wird, wird sein ganzes Leben getäuscht. Und wer will das schon? Sie schreiben Wahrheit in Klarheit. Das Leben ist  zu kurz, um es mit der Lüge, der Dummheit, dem faulen Kompromiss und der ständigen Selbstaufgabe um der Ängste und Anpassungen willen – zu verbringen. Gehen wir zurück, als ihr Leben sich hier entwickelte.

Weltgeschichte spiegelt sich in den Biographien wieder. Durch die Flucht aus Schlesien kamen Sie mit Ihren Eltern und Geschwistern hier in an der Mulde an. Ihr Vater übernahm die Pfarrstelle. Der Vorgänger war geflohen. Sie suchten hier Heimat. Im Wappen von Bad Düben sind eine Lilie und ein Engel zu sehen. Die Lilie steht für das Blühen aus sich selbst heraus, ohne Vorleistung. Der Engel steht für die besondere kirchliche Bedeutung, die Düben in den letzten Jahrhunderten hatte. Ihr Vater war ein tapferer Mann, der dem Engel alle Ehre machte.

Sie haben als Pfarrerskind hier früh gelernt in die Kulissen des Lebens zu schauen. Heute vor dreiundfünfzig Jahren, am 13. April 1958, wurden Sie konfirmiert. Sie standen hier vor dem Altar. Ihr Vater hat Sie  gesegnet  - welch großes Privileg.  Viele Ihrer Mitkonfirmanden hatten keinen Vater mehr. Als Konfirmationsspruch haben Sie einen Vers aus dem Römerbrief bekommen:

Ich schäme mich des Evangeliums nicht - Was für ein Satz in einer Zeit als viele Menschen begannen das letzte Wort dieses Verses zu vergessen. Er hieß dann nur noch: Ich schäme mich des Evangeliums. Die Propagandamaschinerie entwurzelte die Menschen. Es entstand ein Flurschaden, der noch heute fort wirkt. Das Evangelium ist aber eine Kraft die zu allen Zeiten wirkt, bestätigt und bestärkt. Eine Kraft, die  sich Letzten Endes durchsetzen wird.

Erinnern wir uns einen Moment an dieses Jahr ihrer Konfirmation hier: 1958 In der Bundesrepublik begannen die Ostermärsche gegen die Atompolitik. Die Protestler wurden als Ökospinner belächelt. Risiken wurden heruntergespielt. In Budapest wurden die Führer des Ungarnaufstandes hingerichtet. Unter ihnen der tapfere Ministerpräsident Imre Nagy. Ein klares Signal an die anderen Ostblockstaaten, wie zu verfahren ist.

Sie, Christoph Hein, durften die Schule nicht beenden. Es wurde Ihnen bescheinigt: Bildungsziel zwar erreicht, aber nicht das Erziehungsziel.
Sie haben ihren Weg gefunden. Trotzdem.

Ihren entfalteten Begabungen verdanken wir unter anderem großartige Romane, die da heißen:
Der fremde Freund, Die Ritter der Tafelrunde, Der Tangospieler, Das Napoleonspiel, Von allem Anfang an, Willenbrock, Mama ist gegangen, In seiner frühen Kindheit ein Garten, Landnahme, Frau Paula Trousseau...

.... und: Horns Ende.,

Es ist das erste Buch, dass ich von Ihnen gelesen habe. 1985. Ich habe es   mit Tränen und mit kalter Wut gelesen. Tränen über die Verzweiflungen Marlenes und kalte Wut über die Mechanismen einer Kleinstadt, die Sie einem Chirurgen gleich beschreiben, ohne Narkose  - durch die Hautschichten in die Seele schneidend. Damals kannte ich Bad Düben noch nicht. Nun weiß ich, dass die Wege alle hier verlaufen. Lesen Sie, liebe Bad Dübener, diese Buch. Ich warne aber vor Risiken und Nebenwirkungen auch heute noch!

Horns Ende: Die handeln Figuren heißen: Thomas- Dr. Spodeck - Gertrude Fischlinger - Kruschkatz - Marlene
Sie haben als Autor allen den Geist eingehaucht, der Lebendig macht. Wie viele Menschen merken in ihrer Abgestumpftheit hier gar nicht, dass der Geist ihnen entwichen ist. Damals, wie heute.

Christoph Hein, Sie sind ein Chronist - auch mit prophetischer Begabung.

Ich darf Ihnen heute hier sagen, dass auch Wolf Biermann sich sehr über die Ehrung freut, die Ihnen hier zuteil wird. Sie gehören für Wolf Biermann  nicht zu den Intellektuellen, die nur ihre Ostwunden lecken.

Sie melden sich auch heute zu Wort und auch das deutlich und klar. Wieder leben wir in einer Diktatur. Der Diktatur des Geldes. Das Kapital wird mehr geschützt als das Klima. Es wird kälter in dieser Gesellschaft, weil es wärmer wird. Die Kappen der  Pole schmelzen. Das „Nach mit die Sintflut“ Denken lagert sich über all ab. Der Zauberlehrling bekommt seine Besen nicht mehr in die Ecke. Sie haben vor zwei Jahren  eine eindrucksvolle Rede an unsere nächste heranwachsende Generation  gehalten. Diese Rede hängt seit einigen Tagen im Schaukasten.  Sie gehört in die Schule.

Jede Zeit braucht Menschen, die die Dinge benennen, wie sie sind. Das tun Sie weiterhin! Ihre Rede ist ein Bußruf zur Umkehr. Buße heißt nicht etwas zu tun, sondern etwas zu lassen! Diese Stadt ist schöner geworden, als es Guldenberg je war. Schöner und  bunter. Stiefmütterchen sind  im ganzen Stadtbild zu sehen. Unser Stadtrat hat sich mit der Verleihung der Ehrenbürgerwürde an Sie dafür entschieden, mit einem großen Denker und Literaten dieser Zeit nicht stiefmütterlich umzugehen,

Ablehnungen mussten Dichter und Denker in Deutschland zu allen Zeiten erfahren.

Hermann Hesse in Calw,  Hans Fallada in Greifswald, Bertolt Brecht in Augsburg. Ihre Heimatstädte haben nichts von ihren Dichtern gehalten und sich erst nach ihrem Tod mit ihnen geschmückt. Dann aber um so mehr.

Bad Düben hat sich für einen anderen Weg entschieden. Die Ehrung heute für Sie ist auch eine besondere Ehrung für uns. Und die hier dereinst leben-  und Ihre Bücher lesen werden – die bergen einen großen literarischen Schatz.

Vielen Dank - lieber Christoph Hein- für die Worte, die bleiben.